Ärger

Ein Mann berichtet: "In unserer 40 jährigen Ehe gab es niemals Auseinandersetzungen. Ich habe mich über meine Frau nie geärgert!" Diese Aussage kann nur stimmen, wenn sich beide Partner vollkommen gleichgültig waren und keinerlei Berührungspunkte hatten. Möglich ist es aber auch, daß in dieser Beziehung alle starken Gefühle aus Angst vor Auseinandersetzungen unterdrückt wurden.

Je enger eine Verbindung zwischen zwei Menschen ist, um so größer sind die Konfliktmöglichkeiten. Ärger ist ein nicht zu vemeidender Bestandteil jeder Partnerschaft. Er kann aber eine durchaus positive Funktion haben, da er zu Auseinandersetzungen motiviert, die nach einer erfolgreichen Konfliktlösung eine Verbindung stabilisieren und das Vertrauensverhältnis stärken können.

Gefährlich für eine Beziehung ist der aufgestaute Ärger, weil die Partner Angst haben, ihren Ärger zuzugeben und sich gegenseitig zu verletzen. Solche Fehlhaltungen können in einen permanenten kalten Krieg ausarten. Der "geschluckte" Ärger ist dann Anlaß zu ewigen Sticheleien, die ein Zusammenleben unmöglich machen. Nicht selten werden so psychosomatische Krankheiten hervorgerufen (z.B. Magengeschwüre).

Es ist unwichtig, ob der Partner Anlaß für ein Gefühl des Ärgers ist, oder ob eine dritte Person dafür verantwortlich ist; entscheidend ist nur, daß man den Mut hat, zu seinen Emotionen zu stehen und sie verbalisiert. Das sollte nach Möglichkeit in Form einer "Ich-Botschaft" geschehen. Indem man offen von seinen eigenen Gefühlen spricht und dabei vorerst ungeklärt läßt, ob der Unwillen nun berechtigt ist oder nicht, ob er auf einem tatsächlichen Fehlverhalten des anderen oder auf der eigenen Überempfindlichkeit beruht, verringert man die Gefahr seinen Partner zu verletzen.

Nachdem die Ärgermitteilung erfolgt ist, kann man mit einer eingehenden Konfliktanalyse fortfahren. Dabei sollten Mißverständnisse beseitigt und gemeinsam schrittweise die Ursache für die ärgerliche Verstimmung gesucht werden. Der nichtverärgerte Partner hat nicht die Funktion, weise Ratschläge zu erteilen, eher kann er durch Zuhören und vorsichtiges Nachfragen beim Ordnen der Gefühle behilflich sein.

Die dritte Stufe der Auseinandersetzung ist die Zielanalyse. Jetzt können die Partner die in der Konfliktanalyse gewonnenen Erkenntnisse anwenden. Die eigenen Bedürfnisse werden gegeneinander abgewogen und man macht seinem Partner seinen jeweiligen Standpunkt verständlich.

Wenn beide Standpunkte abgeklärt sind, wird man nach einer annehmbaren Regelung suchen.

Die letzte Stufe befaßt sich mit der Regelung von Konflikten. Im Idealfall sind die Gegensätze bereits eliminiert. Ist das nicht der Fall, dann wird man versuchen, eine möglichst faire Lösung auszuhandeln. Ein sinnvoller Kompromiß kann letztlich die Bedrüfnisbefriedigung beider Partner verbessern.

Aber meistens lassen sehr starke Emotionen ein so geordnetes Vorgehen gar nicht zu. Jeder wird - je nach Temperament - eigene Verfahrensweisen entwickeln.

Grundsätzlich kann man aber sagen, daß eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den jeweiligen emotionalen Belastungen (hier Ärger) immer eine Verbesserung des Vertrauensverhältnisses zur Folge hat. Indem man sich gemeinsam den Konflikten stellt und sie in einer weitgehend gespannten Atmosphäre zu bewältigen versucht, schafft man gute Voraussetzungen für eine Vertiefung der Beziehung zueinander, unabhänigg davon, ob nun eine Ideallösung gefunden wurde oder nicht.


(von Manfred Saniter)

 

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