Liebe

Kaum ein Begriff wurde so oft, aber auch so unterschiedlich definiert wie die Liebe. Fragt man, was die wichtigste Voraussetzung für eine Partnerschaft ist, dann erhält man meistens die Antwort: "...daß man sich liebt". Fragt man aber weiter, was denn unter Liebe verstanden wird, erhält man die unterschiedlichsten Interpretationen und bekommt erste Hinweise dafür, daß sie anscheinend oft mit Begriffen wie Abhängigkeit, Selbstliebe oder Egoismus verwechselt wird.

Selten wird daran gedacht, daß die Liebe nicht ausschließlich ein Phänomen zwischen zwei Partnern ist. Man kann alles lieben, sei es die Natur oder sein Auto.

Meistens bestimmen das als Kind erlernte partnerschaftliche Verhalten und das Beispiel der Eltern, was unter Liebe verstanden wird. So können unterschiedliche Teilaspekte in den Vordergrund treten. Dann kann Liebe beispielsweise gleichgesetzt werden mit: sexueller Treue, Vertrauen, Aufrichtigkeit oder Harmonie.

Bedenklich für eine Partnerschaft wird es immer dann, wenn bestimmte Teilaspekte der Liebe Ausschließlichkeitscharakter annehmen. Beschränkt sich die Vorstellung über Liebe zum Beispiel auf die eheliche Treue, so werden günstige Voraussetzungen für ein eifersüchitges Überwachen des Partners geschaffen.

Wenn aber die Einstellung "Ohne dich kann ich nicht leben" im Vordergrund steht, kommt die gegenseitige Freiheit zu kurz. Eine abhängige, egoistische Bindung kann dann zur Aufgabe der eigenen Identität führen. Es gibt insgesamt vier Grundmuster der Liebe, die im Ansatz in jeder Partnerschaft vorkommen - selten "pur", meist gemischt.

VIER GRUNDMUSTER DER LIEBE

  1. DIE NARZISSTISCHE LIEBE
    Personen, die ständig bewundert werden wollen, brauchen einen Partner, der ihre narzißtischen Bedürfnisse befriedigt. In emotioneller Hinsicht sind sie oft ein Kind geblieben, das immer wieder Lob und Anerkennung benötigt. Sie leiden unter einem mangelnden Selbstwertgefühl (s. Selbstwertgefühl) und überspielen häufig diese Unsicherheit durch künstlich sicheres Auftreten. Für den Narzißten wird "Liebe" nur als Taktik eingesetzt, um andere an sich zu binden und das Selbstwertdefizit zu kompensieren.
  2. DIE ORALE LIEBE
    (oral = den Mund betreffend)
    Hier wird die Liebe benutzt, um sich pflegen, helfen und ernähren zu lassen, ohne eine Gegenleistung zu bringen. Auf der anderen Seite findet man den fürsorglichen, mütterlichen Typ, der unerschöpflich Zuwendung spendet (Krankenschwestertyp). Ausdrücke wie: ich hab dich zum Fressen gern, ich will dich vernaschen, oder Liebe geht durch den Magen, sind bezeichnend für ein orales Beziehungsmuster.
    Es gibt Ehen, die zeitlebens harmonisch verlaufen, weil sich die Partner entsprechend ergänzen.
  3. DIE ANAL-SADISTISCHE LIEBE
    (anal = den After betreffend)
    Wer ausschließlich darum bemüht ist, seinen Partner zu dirigieren und zu beherrschen und nach Macht und Kontrolle strebt, wird zum anal-sadistsichen Personenkreis gezählt. Das Kleinkind manipuliert seine Eltern in der ersten Phase der Sauberkeitserziehung, indem es Stuhlgang produziert oder nicht. Weil diesem Vorgang soviel Aufmerksamkeit gewidmet wird, begreift es schnell, welche Macht es über die Erwachsenen hat. Psychoanlaytischen Theorien zufolge wird dieses Verhaltensmuster später auch auf die Zweierbeziehung übertragen. In vielen Partnerschaften verbindet sich dann der unterdrückende Typ mit dem passiv duldenden.
  4. DIE PHALLISCH-ÖDIPALE LIEBE
    In solchen Beziehungen wird das Mutterbild auf die Partnerin übertragen. Beziehungsweise das Vaterbild auf den Partner. Erfüllt der betroffene Teil die mit dem Vorbild verknüpften Erwartungen nicht, entstehen Spannungen. Die männliche (phallische) Rolle wird auffällig überbetont. Er muß ständig "stark" sein; Schwächen und Hilflosigkeit sind das Privileg der Frau.


(von Manfred Saniter)

 

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