Lebensbeschreibung der Mlle. Lenormand
wie auch Mittheilung vieler Proben ihrer Kunst.
Nach den zuverlässigen Quellen
des
Eugène Guinot
1860 veröffentlicht als Anhang in
"Vollständigste und einzig allein richtige Wahrsagekunst der berühmtesten Wahrsagerin der Welt Mlle. Lenormand" Bd. 2
Nach den hinterlassenen, höchst interessanten Manuscripten getreu
bearbeitet und herausgegeben von der Gräfin von G***
Verlag des Literatur- und Kunst-Comptoirs, Berlin (1860)
(Rechtschreibung entspricht dem Originaldokument)
Schon von dem zartesten Alter an war Mlle. Lenormand, dieses Phänomen des achtzehnten Jahrhunderts, Gegenstand übernatürlicher
Eingebungen.
Ihre ersten Lebensschritte waren schon durch Spuren von Divinationsgabe bezeichnet, die in ihrer Entwicklung später die
Welt in Staunen setzen sollte. Ihr Debüt auf dem Gebiete der Prophezeihungen machte sie in dem Kloster der Benedictinerinnen, wo sie
anfing, den Katechismus zu lernen. Dort sagte die kleine Schülerin der Oberin des Klosters voraus, daß sie abgesetzt werden würde, und
obgleich sie für diesen Frevel durch Isolir-Haft büßen mußte, so mußte man sie doch bald aus derselben entlassen, da sich in Kurzem
ihre Prophezeiung erfüllte. Ebenso sagte die jugendliche Lenormand damals voraus, wer die Oberin ersetzen würde, und zwar gab sie nicht
allein den Namen, sondern das Alter, Titel und die Verhältnisse der neuen Oberin an, ohne diese vorher jemals gesehen, noch von ihr
gehört zu haben.
Der erledigte Platz war lange nachher Gegenstand einer lebendigen Concurrenz gewesen, und als
sechs Monate darauf die Stelle besetzt wurde, rechtfertigte die Wahl in allen Theilen die Weissagung der Mlle. Lenormand.
Diese ihre ersten Weissagungen sollten für ihr ganzes Leben bestimmend sein und nichts konnte ihre Folgen aufhalten.
Die zweite
Weissagung zog der kleinen Lenormand eine harte Strafe zu, der sie sich mit Ergebung fügte.
Bei ihrem Austritte aus dem Kloster
machte sich die neue Pythia ansässig, und die Epoche, um welche dies geschah, war namentlich allen derartigen Unternehmungen günstig.
Der ganze Continent war den größten Bewegungen preisgegeben, der politische Himmel war mit schweren Wolken verhängt, und in dieser
Periode, inmitten der größten Besorgnisse, wie sie in allen Kreisen herrschten, war die neue Sibille eine vom Fatum gesandte.
Aber auch welchen traurigen Beruf hatte die arme Lenormand! Welch' traurigen Inhaltes waren die Seiten der Geschichte, die ihr das Buch
der Zukunft damals durchblättern ließ. Mehr als einmal entfielen der Lenormand die Karten beim Hinblick auf die Ereignisse, die ihr
dieselben voraus kündeten. Ihre schwarzen und rothen Karten enthielten nichts als Trauer und Blut.
Die Leute aller Stände suchten Mlle. Lenormand auf, vom Hofe herab bis in die untersten Klassen. Das neue Orakel stieg von Tage zu Tage
auf der gefährlichen Leiter des Ansehens und mit einer Schnelligkeit, die nur in einer Zeit, wie die damalige kritische, erklärlich
war.
Drei Männer stellten sich ihr eines Abends vor und befragten sie lächelnd über ihr künftiges Schicksal.
Mllc. Lenormand erfaßte die
Hände der unbekannten Besucher und bebte entsetzt zurück.
Sprich ohne Scheu, sagte der jüngste der Drei zu ihr, wir haben eine starke Seele — sei es, was es sei — Deine Offenbarung wird uns in
nichts erschüttern.
Die Sybille durchmischte lange die Karten, ohne ihre Bewegung bemeistern zu können; die Sprache versagte ihr den Dienst, um dies
Schreckliche enthüllen zu können. Endlich nahm sie ihren Muth zusammen und unter wildem Gelächter empfingen die Besucher den Spruch des
Orakels; ihre Heiterkeit nahm zu, als Mlle. Lenormand ihnen ihr tragisches Ende ankündigte.
Es ist klar, daß ein Orakel in unserem Zeitalter lügt, sagten sie im Hinausgehen. Wenn uns die Revolution verschlingt, werden wir alle
drei an demselben Tage, zur selben Stunde und an demselben Orte verderben.
Es ist gewiß, sagte darauf der eine von ihnen, dies
Frauenzimmer wußte nicht, was sie sprach, wenn sie mir ankündigt, daß ich vor Euch beiden untergehen werde und daß mein
Leichenbegrängniß von großem Gepränge begleitet sein würde, während im Gegensatz dazu daß Volk Eure letzten Momente profaniren würde.
Sie hat das Volk verleumdet!
Wenn wir sie vor das Tribunal citirten?
Ei was! man muß dem prophetischen Geiste etwas zu Gute halten.
Das Orakel von Delphi ist niemals von außen in seinem Wirken
beeinträchtigt worden.
Dies sagend, begaben sich Robespierre, St. Just und Marat in das sogenannte Comité der öffentlichen Wohlfahrt (Comité du salut public),
wo sie bald von ganz anderen Dingen, als von der Mitbürgerin Lenormand sprachen.
Marat's Tod, welcher kurze Zeit darauf erfolgte, sollte einen Theil der Weissagung bald erfüllen.
St. Just und Robespierre kehrten darauf zu der Sybille zurück; aber sie war diesmal auf ihrer Hut und that ihr mögliches, um die
Wirkungen ihrer ersten Weissagung abzuwenden. Unglücklicher Weise fanden sie andere Consultationen weniger vorsichtig, und ihr
prophetischer Eifer führte sie bis zu dem Gefängniß, aus dem man nur heraustrat, um das Schaffot zu besteigen.
Die größten Propheten
sind den größten Wechselfällen unterworfen. Einzig und allein mit dem Schicksal Anderer beschäftigt, versäumen sie, sich ihr eigenes
Horoskop zu stellen, lassen sich selbst von den Gefahren überraschen, während sie dies vermeiden konnten, wenn sie sich in die eigenen
Hände sähen oder sich selbst die Karten legten.
Die Reaction des Thermidor rettete Mllc. Lenormand. Hatte sie dies vorhergesehen? Man hat dies nie nachweisen können.
Indessen, sei
dem, wie ihm wolle, ihr Unglück, das sie sich mindestens durch einen Mangel an Geistesgegenwart zugezogen hatte, trug nur dazu bei, den
Zuspruch zu erhöhen.
Kaum in ihr Laboratorium zurückgekehrt, empfing sie den Besuch einer jungen Frau in Trauerkleidern, die
traurigen und gesenkten Blickes eintrat.
Ihr Schmerz ist gerecht, Madame, sagte die Sybille, aber sie durften diesen Streich des Schicksals erwarten — dies Unglück war
unzertrennlich von der Weissagung, die ich ihnen schon früher gemacht habe.
Was? — Sie wissen? — rief die junge Wittwe, indem sie den Schleier zurückzog.
Ich weiß, daß Ihnen ein hohes Glück geweissagt wurde.
Und diese Weissagung?
Wird in Erfüllung gehen!
Diese Worte waren, wenn nicht ein Trost, doch eine Milderung des Kummers der Wittwe.
Josephine Beauharnois zog nach und nach ihren
Blick von der traurigen Vergangenheit ab, um ihn einer strahlenden Zukunft zuzuwenden. Ihre creolische Einbildungskraft war heftig
erregt durch die beiden Weissagungen, die ihr nach zwanzig Jahren eine Krone in Aussicht stellten. Die Pariser Sybille hatte somit
weiter nichts gethan, als das Orakel bestätigt, welches vor ihr die Sybille von Martinique ausgesprochen hatte. Es bedurfte nur dieses
Umstandes, um Mlle. Lenormand zum Gegenstand der Mode unter den eleganten Damen des Directoriums zu machen. Madame Tallien, Madame
Récamier und eine Menge anderer schöner und geistreicher Frauen öffneten damals ihre blendend weißen Hände der Sybille, und eröffneten
dem Palaste des Luxembourg eine neue Aera.
Aber kommen wir auf die der Wittwe des Bicomte Beauharnois gemachte doppelte Weissagung zurück.
Sie heirathete einen einfachen
Officier, kaum General, der seine Ansprüche nur bis zu einem Commando erhob, das man ihm verweigerte.
Es ist dies eine schlechte Partie — sagte man damals der Josephine — Sie werden es vielleicht eines Tages als eine Uebereilung bereuen
müssen.
Allerdings entsage ich der Erfüllung der Prophezeihung von einer Krone, dachte Josephine wohl bei sich.
Sie hatte die Regungen ihres Herzens den ehrgeizigen Träumen geopfert. Indessen wollte die liebenswürdige Wittwe, ehe sie die Bande,
die ihre Zukunft ketten sollten, festschnürte, noch einmal Mlle. Lenormand consultiren, und sie vermochte, nicht ohne Mühe, Napoleon,
sie bei ihrem Besuche zu begleiten.
Nachdem die Sybille ihre Hand geprüft und die Karten befragt hatte, sagte sie mit fester Stimme: Madame, es hat sich nichts in ihrer
Bestimmung geändert.
Darauf nahm sie die Hand des jungen Generals Bonaparte in die ihrigen und betrachtete sie mit großer Bewegung. Die Linien seiner Hand
ließen die Sybille einen Blick in die kommenden Ereignisse thun — der glänzende Pfad des Officiers zu den höchsten Höhen des Ruhmes,
seine Siege, Alles sagte sie ihm vorher.
Napoleon war ungläubig gekommen, nur aus Gefälligkeit und einer Caprice der schönen Wittwe
nachgebend, aber als Mlle. Lenormand ihm von seinen geheimen Plänen sprach, von seinen kriegerischen Projecten und den Erfolgen seiner
Waffen, war seine Aufmerksamkeit auf's Höchste gespannt.
Ich werde es versuchen, Ihre Orakelsprüche zu realisiren, sprach er und zog sich zurück.
Und ich, sprach Josephine, indem sie sich stolz an
Bonaparte hängte, ich zweifle nicht länger an der mir bevorstehenden glänzenden Zukunft.
Ein andermal besuchte Frau von Staël die Lenormand. Es war unter dem Consulate — die prophezeihten Zeiten näherten sich demnach. — Alle
Berühmtheiten damaliger Epoche hatten ihr ihren Tribut gezahlt. Seit kurzem nach paris zurückgekehrt, ließ sich Frau von Staël zu der
Lenormand führen, die ihr unter anderem auch folgendes weissagte:
Sie sind auf dem Punkte, Madame, einen Schritt zu thun, dessen Folgen für sie nicht sonderlich befriedigend sein werden, und zwar —
schon morgen.
In der That wurde Tags darauf Frau von Staël von dem ersten Consul empfangen.
Bonaparte wußte, daß die berühmte Schriftstellerin ihm
auf jeder Stufe der Macht zu begegnen gesonnen war, er kannte ihre Intelligenz, wußte sogar, daß Frau von Staël mit seinen Gegnern
gemeine Sache gemacht hatte. Indeß der Sieger von Montenotte und bei den Pyramiden konnte aus diesem Umstande nur eine neue Eroberung
folgern. Er hatte es in der Gewalt, einen der größten Geister damaliger Zeit an sich zu fesseln — diese kostbare Aequisition hätte ihm
nur wenige gute Worte gekostet und eine leichte Schadloshaltung von 1200 Franken, welche die Tochter des Herrn Necker beanspruchte.
Aber der große Feldherr hielt einen solchen Lorbeer für zu theuer errungen. Er empfing also in der Mitte einer zahlreichen Versammlung
Frau von Staël, und weit entfernt, ihr gegenüber ein Thema zu berühren, das ihren Geist hätte glänzen lassen können, fragte er sie
kurz:
Haben sie die diebische Elster gelesen? Es ist dies jetzt eine Oper, die in der Mode ist.
Ueberrascht von dieser unerwarteten Frage, suchte Frau von Staël nach einer Antwort; während der erste Consul hinzufügte:
Ich weiß nicht, ob es wahr ist, man sagt, wir hätten auch eine aufrührerische Elster.
Diese letzten worte beraubten Frau von Staël all' ihrer Fassung. Es ward ihr unmöglich, eine Antwort zu finden, sie beobachtete ein
tiefes Stillschweigen, und der erste Consul, um nicht mit ihrer Verlegenheit Mißbrauch zu treiben, drehte ihr den Rücken und wandte
sich zu einem etwas glücklicheren Gast.
Neben feiner geheimen Abneigung gegen Frau von Staël hatte Bonaparte das Unrecht auf seiner Seite, die Schriftstellerinnen, die
sogenannten ba bleus, zu hassen.
Nach dieser denkwürdigen Audienz erinnerte sich Frau von Staël der Worte der Lenormand und kehrte zu ihr zurück.
Von diesem
Augenblick an beehrte Frau von Staël dieselbe mit einem unwandelbaren, wenn nicht übertriebenen Vertrauen.
Die der Madame de Beauharnois versprochene hohe Bestimmung sollte bald in Erfüllung gehen, aber das ersehnte Glück sollte auch seine
Schattenseite haben. Eines Tages tritt die Kaiserin Josephine betrübt zu ihrem Gemahl und spricht:
Ich kenne das Project, welches in ihnen langsam reift — Sie wollen mich den Staats-Rücksichten opfern und schon ist der Scheidungs-Akt
eingeleitet.
Und es war dem so, die Kaiserin war wohl unterrichtet — aber wie hatte sie dies Geheimnis, daß nur einigen der intimsten
Räthe bekannt war, erfahren?
Ich werde den unzeitigen Verräther dieses Geheimnisses erfahren und ihn zu strafen wissen, sagte der Kaiser.
Beruhigen Sie sich, antwortete die Kaiserin, es giebt weder Verräther in Ihrer Familie, noch unter ihren Räthen.
Um jeden Verdacht von einem Uunschuldigen abzuwenden, fuhr die Kaiserin fort: dieselbe Frau, die mir meine Erhebung angezeigt hat, hat
mir auch meinen Fall vorhergesagt.
Ich habe alles durch Mlle. Lenormand erfahren.
Eine Stunde nach dieser Scene wurde Mlle. Lenormand zum Polizei-Minister geführt.
Nun, sagte Fouché zu ihr mit spöttischem Lächeln, haben sie in ihren Karten auch gelesen, daß sie heute arretirt werden würden?
Nein, antwortete die Lenormand, ich glaubte nur, ich sei hierher beordert worden im Interesse einer Consultation und hatte zu dem
Behufe ein großes Spiel Karten mitgebracht
Und indem sie dies in dem ruhigsten Tone sprach, breitete sie auch schon die Karten vor
dem Polizeiminister aus.
Fouché erinnerte sich, daß bei seiner Ankunft in Paris einer seiner Freunde ihn zu der Lenormand geführt hatte. Er war damals noch
Deputirter des National-Convents. Er erinnerte sich noch, daß ihm die Lenormand gesagt hatte: sie sind gestiegen, aber sie werden noch
um vieles höher steigen.
Der erste Theil dieses Orakels spielte auf ein Abentheuer an, welches Fouché in seiner Jugend erlebt hatte. Eines Tages nämlich war er
in Gegenwart der ganzen Bevölkerung von Nantes in einem Luftballon mit Pilatre von Rozier in die Höhe gestiegen. Der Muth, den Fouché
bei dieser Luftreise an den Tag legte und der bei einem Professor der Philosophie gewiß als Seltenheit zu betrachten war, machte auf
ihn besonders aufmerksam. Er wurde zum Deputirten des Departements der Loire gewählt, und so kam es denn, daß in Wahrheit ein Flug noch
einen viel höheren Flug zur Folge hatte.
Der Minister machte die Lenormand wiederholt auf einige Mißbräuche mit ihren Orakelsprüchen aufmerksam, während diese sich nicht stören
ließ, ihre Karten ausbreitete und von Zeit zu Zeit sprach: immer der Treffbube!
Die Vorwürfe des Ministers waren verdient — die Sybille konnte ihr Uunrecht nicht widerlegen.
Seit zwei Jahren hatte sie ihr Domicil
in der Tournon-Straße, sie beherrschte von da aus das Faubourg St. Germain und schmeichelte mit ihren Prophezeihungen den Hoffnungen
der Royalisten. Es war dies jedenfalls eine Undankbarkeit gegen die Kaiserin Josephine, welche sie mit Gunstbezeugungen überhäuft
hatte.
Aber Josephine wurde verstoßen, und hätte sie auch die Zukunft der Lenormand brandmarken wollen, ihre Zukunft hätte sich
trotzdem nicht geändert.
Fouché sprach nicht ein Wort von der betreffenden Scheidung. Er beschränkte sich darauf, der Sybille zu erklären, daß sie in das
Gefängniß wandern müsse, um dort wahrscheinlich lange zu bleiben.
Glauben Sie? fragte die Lenormand. Sehen Sie nur! Es ist sonderbar, hier liegt der Treff-Bube, der mich früher aus dem Gefängnisse
befreien wird, als Sie glauben.
Ei, der tausend! — sagte Fouché — also der Treff-Bube besitzt Ihr Vertrauen in so hohem Maße.
Allerdings besitzt er es, antwortete hierauf die Lenormand, denn der Treff-Bube stellt den Herzog von Rovigo, ihren Nachfolger vor.
Der Sturz des Kaiserreichs stellte das Ansehen der Lenormand bei der Menge, ganz wie früher, wieder her, und sie war nur verfolgt
worden, weil sie die Restauration prophezeiht hatte.
Der Kaiser Alexander hatte sie um eine Consultation ersuchen lassen; nichts
fehlte mehr zu ihrem Ruhme, es blieb ihr nichts mehr übrig, als sich jetzt mit ihrem Reichthume zu beschäftigen, indem sie friedlich
und ruhig ihr magisches Geschäft fortsetzte — und dies war es denn auch, welches mit einem Bewußtsein geschah, das die Menge um so mehr
bezauberte und die Bewunderung Aller herausforderte.
Seit vierzig Jahren wohnte Mlle. Lenormand Rue de Tournon No. 5.
Die Höhle der Sybille, wenn wir es so nennen wollen, lag auf dem
Hofe im Erdgeschoß.
Ueber der Thür befand sich ein Schild mit den Worten:
Mädemoiselle Lenormand, libraire (Buchhändlerin).
Die Profession der Sybille war von dem Gesetze noch nicht sanctionirt, und so wie jedes Geschäft einen legalen Titel tragen muß, um
eine Abgabe zu rechtfertigen, so hatte auch in dem vorliegenden Falle Mlle. Lenormand um ein Patent als Buchhändlerin nachgesucht und
es erhalten. Sie empfing hier ungestört ihre Clienten und konnte ihre Prophezeihungen hier verlegen, ohne bei den Polizei-Präfecten
Verdacht zu erregen, die den Herzögen von Otrante und Rovigo folgten.
In der Eigenschaft als Buchhändlerin war sie denn auch in dem
königlich-nationalen Almanach verzeichnet.
Wenn man zu der Mlle. Lenormand kam, klingelte man an der Schelle des Orakels, eine Magd öffnete und führte den Besucher in ein Zimmer,
das nichts weniger als sybillinisch aussah.
Mlle. Lenormand verschmähte den gewöhnlichen Hausrath der gemeinen Wahrsagerinnen, sie
umgab sich mit keinerlei Art von Phamtasmagorie.
Das Innere ihres Zimmers war bürgerlich eingerichtet und correspondirte mit dem
einfachen Thürschilde. An der Wand sah man in zwei Reihen ungefähr an die dreißig Bände Bücher. Es waren dies: les ouvrages de la phytonisse,
les souvenirs prophétiques, la réponse à Mr. Hoffmann, journaliste, und fünf oder fechs andere Produkte, mehr oder weniger
kabbalistischen Inhalts.
Nachdem man Zeit genug gehabt hatte, sich umzusehen, erschien Mlle. Lenormand. Es war dies in späteren Jahren eine starke, kleine Frau,
den Kopf mit einer großen blonden Perrücke geziert, auf welcher ein halb orientalischer Turban thronte. Im Uebrigen war das Costüm das
der Butterhändlerinnen in Paris.
Was steht zu Ihren, Diensten? fragte sie gewöhnlich den Besucher.
Madame, ich komme, um Sie zu consultiren.
Gut! setzen Sie sich.
Welches Spiel Karten wollen Sie? Ich habe sie zu 6 Franken, zu 10, zu 20 und sogar zu 400 Franken.
Ich werde auf den Artikel im Preise eines Louisd'or reflectiren.
Gut denn, so treten Sie an diesen Tisch und zeigen Sie mir Ihre Hand.
Hier ist sie!
Nicht diese, die linke.
Welches Alter haben Sie? Welches ist die Blume, der Sie den Vorzug geben? Welches ist das Thier, vor dem Sie
den meisten Widerwillen empfinden?
Alle diese Fragen wurden dann mit einer monotonen, näselnden Stimme gethan; bei jeder Antwort wiederholte sie: Gut denn! und indem sie
das Spiel Karten durchschlug und den Anwesenden präsentirte: so, heben Sie mit der linken Hand ab!
Darauf drehte sie die Karten um, eine nach der andern und breitete sie aus dem Tische aus, und nun stellte sie das Horoskop mit einer
Geschwindigkeit, daß man kaum im Stande war, ihr zu folgen. Es war, als lese sie in einem Buche, oder als sagte sie eine erlernte
Lection her. In diesem scheinbar widersinnigen Strom von Reden wurde man plötzlich wie von einem Lichtstrahl erhellt — die Sybille
excellirte ganz besonders darin, den Charakter, die Neigungen und den Geschmack der sie aufsuchenden Personen zu ergründen. Sie
verfehlte nie, ihren Besuchern auch Aufschlüsse über die Vergangenheit zu geben, und auch die Richtigkeit dieser wird von Allen
bestätigt, die jemals Gelegenheit hatten, diese sonderbare Frau zu besuchen.
Was noch mehr ist, diejenigen, die sie besuchten, fanden stets einen großen Genuß in ihrer prophetischen Unterhaltung.
Dank der Mlle. Lenormand, sagte die Fürstin von Lolières, seit dreißig Jahren hat mir diese Dame Arzt und Advocat überflüssig gemacht.
Eine andere große Dame äußerte einst: Ich habe stets erst die Sybille in der Straße Tournon befragt, ehe ich mich entschloß, eine
Narrheit zu begehen, und ich habe mich dabei sehr wohl befunden, denn alle meine dummen Streiche sind mir gelungen.
Riquault, von der französischen Academie, stellte sich regelmäßig jede Woche bei der Lenormand ein.
Unter den berühmtesten Clienten der Lenormand führen wir hier nur noch an: Barras, Tallien, der Maler David, der Fürst Talleyrand, der
Sänger Garat, Talma, General Moreau, Senon, der Herzog von Berry ec. ec.
Unzählige fremde, große Persönlichkeiten standen mit der Lenormand in Korrespondenz.
Fast alle schönen Frauen der Pariser modernen
Welt waren mehr oder minder regelmäßig bei der Lenormand gewesen.
Wenn diese merkwürdige Frau ihre Memoiren in einer zu ermöglichenden Vollkommenheit hinterlassen hätte, wenn sie die ganzen
Correspondenzen und Briefschaften, die sie angingen, gesammelt hätte, so würden diese einen viel größeren Werth haben, als die 500,000
Franken, die ihr hinterlasscnes Vermögen betrug.
Einem interessanten Bericht des Herrn d'Alboize entnehmen wir noch die folgenden, authentischen Daten.
Der Vater der Mlle. Lenormand war aus Falaise und heirathete eine Mlle. Guilbert aus Alençon, woselbst er sich auch niederließ, aber
frühzeitig starb.
Er hinterließ seiner Frau drei Kinder, zwei Töchter, davon unsere Heldin die älteste war, und einen Sohn, der die Militair-Carriecre
verfolgte.
Die Wittwe Lenormand verheirathete sich von Neuem, starb aber auch bald darauf und ihr zweiter Mann tröstete sich seinerseits sehr bald
durch eine neue Heirath, der Art also, daß die drei unglücklichen Waisen plötzlich der Willkür einer Stiefmutter und eines Stiefvaters
verfallen waren.
Auf die jugendliche Lenormand hatte dieses Schicksal den größten Einfluß. Man hätte damals in dem Kinde wohl schwer die prophetische
Gabe entdecken können, welche sie zu der nachherigen Berühmtheit geführt hat. Fröhlich, munter, geistreich und besonders schelmisch
brachte sie ihre Zeit damit hin, aller Welt kleine Possen zu spielen. Ihre Stief-Eltern, um sich ihrer zu entledigen, brachten sie in
das vorher erwähnte Kloster der Benedictinerinnen unter. Nachdem sie hier alles gelernt hatte, was zu lernen war, wurde sie von dort
fortgeschickt aus den schon angeführten Gründen, trat in das Kloster de la Visitation ein und durchwanderte sodann nach und nach alle
Klöster der Stadt, die Pensionairinnen aufnahmen. Inmitten ihres Leichtsinns und ihres Hangs zu tollen Streichen hatte sie doch ihre
Lage begriffen, denn sie studirte jetzt fleißig, und sobald sie in einem Hause alle Erziehung genossen hatte, die man ihr angedeihen
lassen konnte, ließ sie sich von da fortschicken, um das zu erlernen, was in einem andern gelehrt wurde. Als sie darauf alle Klöster
von Alençon und der Umgegend besucht hatte, kehrte sie zu ihrer Stiefmutter zurück, die sie zu einer Nähterin in die Lehre gab. Aber die
junge Lenormand konnte sich durchaus nicht mit den weiblichen Handarbeiten befreunden und ihre Gedanken, die schon jetzt zu dem
Uebernatürlichen hinüberstreiftcn, trieben sie unaufhaltsam auf die Lebensbühne, die ihr ihr frühzeitiger Ehrgeiz auserwählt hatte. Sie
erklärte also, daß sie sich nach Paris begeben wolle, wo ihr Stiefvater lebte, und reiste denn auch demzufolge in einem Alter von 14
Jahren, mit einem einzigen weißen Kleidchen, einer Baarschaft von 6 Franken, die ihr die Stiefmutter gegeben hatte, nach Paris.
Angekommen in der Weltstadt, brachte sie ihr Stiefvater in einem Handlungshause unter, wo man sie auf das freundschaftlichste
behandelte. Ihre Unterhaltung, ihre wunderlichen Einfälle und ihr Geist machten sie sehr beliebt bei den Käufern, die nur stets von der
dicken Normande bedient sein wollten.
Ein Commis, der für sie eine große Anhänglichkeit an den Tag legte, gab ihr den ersten Unterricht im höheren
Rechnen und unterwies sie hauptsächlich in der Buchführung. Aber bald wußte die Schülerin ebenso viel, wie der Lehrer, und von ihrem
Geschmack zum Studium getrieben, überflügelte sie denselben sehr bald.
Mlle. Lenormand studirte mit Ernst, und als sie nach einiger Zeit Kenntnisse genug gesammelt zu haben und das Herz mit Energie genug
erfüllt glaubte, beschloß sie, von nun ab nur sich selbst ihre Existenz-Mittel zu danken und von Niemand abzuhängen. Besonders aber
wollte sie die Rechnenkunst zu ihrem Nutzen ausbeuten, und ohne sich einmal Rechenschaft geben zu können, wie sie ihren Unterhalt
verdienen könnte, gründete sie in der TournonStraße ein Schreibe-Büreau, in dem es ihr einigermaßen schon glückte. Von der gewöhnlichen
Rechnenkunst wollte sie nebenbei weiter studiren und ihr Wissen mit der Algebra bereichern, immer noch im Dunkeln über die Anwendung
dieses Wissens lebend.
Der Ruf von der neu geschaffenen Lehre des berühmten Professors Gall fing an sich nach allen Richtungen hin zu verbreiten.
Mlle.
Lenormand verschlang gleichsam seine Werke, lernte sie fast auswendig und beschloß endlich, denselben in London aufzusuchen.
Aber das
Geld mangelte ihr, um diese Reise möglich zu machen. Sie besaß nur einige wenige Ersparnisse, die zu einer solchen Reise nicht
hinreichten. Sie beschloß nunmehr, einen Versuch zu machen, mit dem, was sie im Rechnen gelernt hatte, sich diese Summe zu beschaffen.
Sie spielte in der Lotterie und ihre Boraussetzungen trogen nicht, in kurzer Zeit hatte sie in der Ternen-Lotterie 1200 Franken
gewonnen.
Ermuthigt von diesen glücklichen Erfolgen, reiste sie nun sofort nach London und begab sich zum Dr. Gull. Ihre Art und Weise, sich
vorzustellen, ihre Unbefangenheit und vor allem ihre Lebensgeschichte interessirten in hohem Grade den Dr. Gall. Bei ihrem ersten
Besuche schon gab er ihr eine Stunde lang Unterricht an ihrem eigenen Kopfe, und nachdem er denselben mit Aufmerksamkeit untersucht
hatte, sagte er zu ihr:
Mademoiselle, Sie sind geboren zu einer Prophetin und Sie werden es werden, Sie werden deren die erste in Europa sein.
Von diesem Tage ab behandelte der Dr. Gall die junge Lenormand mit ungemeiner Vorliebe, unterwies sie in der Phrenologie, Chiromantie
und Nekromantie. Als er sie stark genug glaubte, auf eigenen Füßen stehen zu können, verbreitete er selbst ihren Ruf und sorgte für den
Zuspruch der Welt. Sie selbst reüssirte weit über seine Erwartungen — bald verbreitete sich ihr Ruf in den weitesten Kreisen. Von den
Mittelklassen ging derselbe zur Aristokratie, zum Hofe bis zu den gekrönten Häuptern. Alles war begierig, die neue Pythin kennen zu
lernen.
Unter den sonderbaren Weissagungen führt Herr d'Alboize namentlich eine an, die er in seinem Berichte erzählt, weil sie für ihn das
größte Interesse hatte, da sie feine eigene Tante betraf.
Als meine Tante noch unverheirathet war und die Freiheit genoß, welche die englischen Sitten den Damen nur spärlich zumessen,
besuchte dieselbe die berühmte Prophetin, um sie über ihr Schicksal zu befragen. Als nach den üblichen Präludien ihr die Lenormand
sagte, daß sie sehr bald England vellassen und nach dem Kontinent übersiedeln würde, lächelte meine Tante, glaubend, daß ihr dies
Jemand gesagt habe, da sie in der That einen großen Theil ihrer Familie in der Schweiz zu leben hatte, und hielt demzufolge auch diese
Weissagung für sehr banal;
Und, fügte Mlle. Lenormand hinzu, Sie werden sich alsdann dort verheirathen. Neues Lächeln meiner Tante,
die gute Gründe hatte, dies zu bezweifeln. Beleidigt von diesem unzecitigen Lächeln, wiederholte Mlle. Lenormand ihre Weissagung mit
Entschiedenheit und fügte hinzu, daß sie das erste Mal ihren Bräutigam am Spieltische sehen würde; beschrieb darauf die Farbe seines
Rockes, seiner Beinkleider und seiner Weste — und — diese Weissagung ging von Wort zu Wort in Erfüllung. Meine Tante erzählte diese
Episode aus ihrem Leben nie ohne eine große Bewegung und konnte, trotz ihrer Frömmigkeit und Sittenstrenge, nie eine Verehrung für
Mlle. Lenormand unterdrücken, wie man solche nur für ein überirdisches Wesen fühlt.
Aber inmitten der Erfolge, die Mlle. Lenormand in London erzielte, vergaß dieselbe weder ihr Vaterland, noch ihre Geschwister, deren
Wohlthäterin und Beschützerin sie werden wollte. Sie kehrte nach Frankreich zurück und berief ihre Geschwister zu sich, um an ihrem
neuen Glück Theil zu nehmen. Ihre Schwester verheirathete sie später und begünstigte ihrem Bruder die militairische Laufbahn durch ihre
Verwendungen.
Zum Andenken an den Beginn ihrer großen Laufbahn in der Tournon-Straße, machte sie sich in dieser Straße ansässig, und
als sie nun eine Lokalität gefunden hatte, die ihren Ansprüchen genügte, cultivirte sie nunmehr ihren Industriezweig an dem geliebten
Orte bis an ihr Lebens-Ende.
Mlle. Lenormand, welche zu Ende der Regierung Ludwigs des Sechszehnten nach Paris kam, sah den Hof noch in seinem letzten Glanze und
empfing die höchsten Herrschaften, die denselben verherrlichten.
Unter den bemerkenswerthesten Erscheinungen bei Hofe, die ihr Talent zu Rathe zogen, führte Mlle. Lenormand gern die Fürstin Lamballe
an, welcher sie auch ihren Tod vorhersagte, und Mirabcau, von dem sie einen Brief besaß, den ihr dieser aus dem Gefängnisse von
Vincennes geschrieben hatte. Er befragte sie darin um das Ende seiner Gefangenschaft.
Die Revolution brach aus und der Zuspruch bei der Lenormand war im Wachsen begriffen.
Die Masse der beunruhigten Adligen, die das
Unglück um so abergläubischer machte, nahm bei ihr überhand in diesem Zeitraume. Sie begaben sich zu ihr in allerhand Verkleidungen,
ohne daß diese jemals die Prophetin beirrt hätten; denn stets erkannte sie die betreffenden Personen unter ihren groben Kleidern.
Zwei Sieger aus dem Kampfe bei der Bastille kamen unter andern, sie zu consultiren; es waren dies zwei Gardisten, die mit dem Volke
gegangen waren. Dem einen prophezeihte sie die Generals-Epauletten, Ruhm und den Tod durch Gift, schon im Beginn seiner Carriere. Es war
Hoche und bekanntlich traf die Weissagung ein. Dem andern prophezeihte sie den französischen Marschallstab. Es war Lefébore — auch dies
traf ein. Endlich dem Grafen von Provence nannte sie die Nacht, in der er fliehen würde, voraus.
Bald zog die Schreckensherrschaft in
Frankreich ein, ohne daß Mlle. Lenormand dadurch in ihrem Berufe gestört worden wäre. Viele der Proconsuln aus jener Epoche besuchten
damals die Frau, die mit ihrem Rufe die Welt erfüllte. Sie hatte bei sich Camille Desmoulins gesehen, der Danton mit zu ihr geführt
hatte; sie sah, wie schon erwähnt, Robespierre bei sich, der St. Just dorthin führte. Barrère war einer ihrer größten Verehrer, und
Madame Tallien kam sogar einmal mitten in der Nacht, um sie zu consultiren.
Das Directorium begann, und dies war für die Lenormand
die brillanteste Epoche.
Garat, Barras, die Damen Taillien und Beauharnois hatten sie zur Frau des Tages gemacht. Barras, in seiner
Eigenschaft als Nachbar, war dem Grafen von Prevence gefolgt und lud sie häusig im Palaste Luxembourg ein; in der Epoche des 18.
Brumaire empfing sie allein so viel Zeichen des Vertrauens aller Zeitgenossen, daß sie aus der Natur dieser Zeichen schon hätte das
Ereigniß des 18. Brumaire prophezeihen können. Dies war es, welches sie z. B. der Josephine mittheilte und jene dazu bestimmte, einen
thätigen Antheil an den Ereignissen zu nehmen, die sich vorbereiteten. Dag große Vertrauen der Josephine, welches sie in die Lenormand
setzte, ist nie übertrieben worden, und auch Napoleon selbst hatte ein unbeschreibllches Vertrauen zu ihr gefaßt und sie deutete ihm
unzahlige Male seine Träume. Keine Expedition wurde von Napoleon gemacht, ohne daß die Lenormand über den Erfolg nicht befragt worden
wäre; und ist es nicht befremdend, daß sie auch den unglücklichen Ausgang des russischen Feldzuges weissagte, der nichts desto weniger
unternommen wurde.
So hartnäckig auf ein Nichteintreffen der Weissagungen von verschiedenen Seiten gelauert wurde, so eclatant bewährte sich stets die
Unfehlbarkeit derselben.
Das Kaiserreich war die schönste Zeit der Prophetin; dem Beispiele der Fürsten folgte das Volk und ihre Wohnung wurde nie leer von den
Tausenden von Neugierigen. Die Lenormaud war jedenfalls diejenige Person, die ohne Ausnahme die allermeisten Beweise von hohem Zutrauen
in damaliger Zeit empfing, und Niemand wäre mehr im Stande gewesen, eine authentische Geschichte der damaligen Zeit zu schreiben, als
sie, wenn ihr dazu die Zeit geblieben wäre, solches zu thun; es hätte keine merkwürdigere und interessantere Geschichte der
Begebenheiten für alle Zeiten geben können.
Im Schooße der Gunstbezeugungen, mit welchen sie Napoleon und Joscphine überschütteten, so wie Alle, die dem Hofe ergeben waren, blieb
sie im Innern des Herzens stets den Bourbons treu und war rein royalistisch gesonnen. Sie sah die Bourbons mit Freuden zurückkehren,
obgleich ihre Industrie darunter leiden mutzte.
Ihr alter Nachbar, der Graf von Provence, nachher Ludwig XVIII, wollte sie
wiedersehen und sie von Neuem consultiren.
Die Lenormand begab sich insgeheim oft in die Tuilerien, und namentlich geschah dies sehr
häusig in den Tagen, die dem unglücklichen Tode des Herzogs von Berry vorhergingen und folgten, von welchem sie, ohne ihn voraus zu
sagen, ein Vorgefühl gehabt hatte. Der Herzog von Berry hatte die Lenormand zu wiederholten Malen aufgesucht, und auch Louvel, sein
Mörder, war dort gewesen.
Seit der Juli-Revolution hatte Mlle. Lenormand, ohne ihre Consultationen aufzugeben, sich ein wenig Ruhe gegönnt, und diese nur in
Momenten, wo es ihr das Nachlassen der Besuche erlaubt hatte. Sie benutzte diese Zeit, um ihre Vaterstadt Alençon zu besuchen. Sie
beabsichtigte, sich dort niederzulassen, wenn sie ihre Kunst nicht mehr ausüben würde. Sie hatte dort mehrere, einander benachbarte
Häuser gekauft, um damit ein großes Terrain zu gewinnen, auf dem sie ein Haus nach ihrem Geschmacke aufführen lassen konnte. Man hatte
zwei davon demolirt, die schon im Verfall waren, und hatte schon das dritte einrichten und meubliren lassen; sie nannte dies dritte
Haus: das Häuschen des Sokrates.
Bei den zahlreichen Besuchen, die sie in ihrer Vaterstadt machte, bat man sie fortwährend um
Consultationen, aber sie erwiderte stets auf alle diese Bitten, daß sie nur immer nach Alençon käme, um zu vergessen, daß sie eine
Prophetin sei und daß sie das Horoskop nur in Paris stelle. Es war dies nicht etwa ein Mißtrauen in ihre Divinationsgabe, denn sie
selbst war von dem Bewußtsein der Macht derselben beseelt. Auch war sie nicht frei von
gewissen Vorurtheilen, die sich noch heute häufig genug vertreten finden. Sie legte ihre Karten am liebsten des Freitags, welchen Tag
sie den Tag der Berechnung nannte.
Zwei Züge aus ihrem Leben werden dem Leser ein Helles Licht auf den Charakter und auf die
unbegreifliche Geistesverfassung der Lenormand werfen.
Zur Zeit der ersten Invasion hatte die Lenormand in ihrem Hause viel Geld und Kostbarkeiten von großem Werthe. Sie wollte dies alles
einer Person anvertrauen, die sie wenig kannte, die aber die einzige war, der sie sich für den Augenblick anvertrauen konnte.
Welches
Thier flößt uns den meisten Abscheu ein? — fragte sie.
Die Ratten und Mäuse — war die Antwort.
Das ist ein Zeichen von gutem
Gewissen; und welches Thier bevorzugen Sie am meisten?
O, war die Antwort, ich liebe den Hund über Alles.
Und sofort überließ Mlle.
Lenormand der Person ihr Eigenthum, überzeugt von deren Rechtschaffenheit.
Das zweite Beispiel dieser Art gab sie ihrem Bruder gegenüber.
Wie schon oben erwähnt, war derselbe Militair. Sie erhielt die
Nachricht, daß derselbe tödtlich verwundet sei. Von diesem Tage ab legte sie fortwährend die Karten, um die Natur der Wunde und die
Größe der Gefahr derselben kennen zu lernen. Keine ihrer cabbalistischen Operationen blieb unversucht. Sie hatte dazu eben eine Nacht
gebraucht, um in die Zukunft zu schauen, und als der Tag graute und ihr Dienstmädchen in das Zimmer trat, fand dieses die Lenormand in
Thränen gebadet und aufrecht vor dem Tische.
Schnell, rief sie dem Mädchen zu, bestelle mir ein Trauerkleid, mein Bruder ist todt. In
der That kleidete sie sich schon im Voraus in Trauer, obgleich sie den Tod ihres Bruders nur vorausgesehen hatte in ihren Karten; bald
darauf aber bestätigte die trübselige Nachricht von seinem Tode das schon vorhergesehene Ereigniß.
Es darf hierbei nicht unerwähnt bleiben, daß Mlle. Lenormand mit großer Liebe an ihrer Familie hing, ingleichen aber auch an ihren
Freunden. Als ihre Schwester starb, nahm sie deren Kinder, eine Tochter und einen Knaben, bei sich auf und war ihnen eine zweite
Mutter. Das junge Mädchen starb dann an einer Lungenkrankheit; der junge Mann wurde später Officier und ist noch heute ein sehr
verdienter Officier der franzosischen Armee und der einzige Erbe seiner Tante. Man sollte nicht denken, daß Mlle. Lenormand ohne
Testament starb, und doch ist dem so. Sie fürchtete zu sehr den Tod, um denselben vorher zu sehen.
Ihre Bedienten wußten nicht genug
ihre Herzensgüte und ihre Sanftmuth zu loben. Sie hatte deren sehr alte, die sie stets bei sich behielt.
Mlle. Lenormand war von außerordentlicher Wohlbeleibtheit und nichts weniger als schön, ja sogar sehr häßlich, aber was in Erstaunen
setzte, wenn man sie betrachtete, war die Lebhaftigkeit ihrer Augen, welche Flammen zu sprühen schienen. Obgleich sie schon bei einem
sehr vorgerückten Alter war, so hatten ihre Augen doch noch einen so gewaltigen Ausdruck, daß viele Leute in ihrer Vaterstadt Alençon
sie nicht anzusehen wagten, indem sie meinten, diese blitzenden Augen erfüllten sie mit
Furcht.
Niemals hat man von irgend einem Liebesverhältniß der Lenormand gehört, noch weniger war jemals die Rede von einer Heirath
gewesen. Man weiß nur, daß sie eine große Aversion gegen kleine Kinder hatte.
Sie hinterließ, außer einem ungeheuren Vermögen, ein
sehr schönes Haus in Paris, Rue de la Santé, und ein Schloß, 8 Meilen von Paris, in der Nähe von Poissy.
Rothschild war ihr Banquier.
Sie hatte bei ihm ein wahres Museum von Gemälden der größten Meister, darstellend alle traurigen und freudigen Ereignisse, die jemals
die Familie der Bourbonen betroffen hatten. Außerdem besaß sie eine Unmasse von Schriftstücken, die die Ereignisse betrafen, deren
Zeuge sie entweder gewesen oder bei welchen sie activ aufgetreten war. Alle sind von ihrer Hand geschrieben und beiläufig bemerkt in
einer Schrift, die sonderbar genug, an die cabbalistischen Zeichen erinnert. Sie besaß außerdem offizielle Briefe von sämmtlichen
Souverainen Europa's, die meisten Autographen, die gewöhnlich sehr vertraulichen Inhalts waren, und es ist dies ein nicht geringer
Schatz ihrer Hinterlassenschaft.
Es scheint uns hiermit Alles, was über diese so merkwürdige Frau zu sagen war, erschöpft, und sind die Quellen, aus denen wir unsere
Biographie schöpften, verschiedenen der competentesten Schriftsteller damaliger Zeit entlehnt.
Auch ist dies die erste Biographie,
die in dieser Vollständigkeit in das Publikum gelangt.
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